Potenziale digitaler Medien für den Bildungsprozess

Digitale Medien ermöglichen grundsätzlich eine Multimedialität, d.h. eine gleichzeitige Darbietung von z.B. Text, Bild, Animation und Ton. Diese Medienkombination kann multimodal aufgenommen werden, d.h. mehrere Sinneskanäle werden gleichzeitig angeregt (Rey 2009, S.16f.). Gerade für das Lernen wird diese Eigenschaft als ein großes Potential angesehen, da verschiedene Sinneskanäle gleichzeitig angesprochen werden und der Lerninhalt vom Nutzer differenziert abgespeichert werden kann.

Digitale Medien zeichnen sich ebenso durch eine Interaktivität aus, d.h. sie bieten dem Nutzer verschiedene Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten. So besteht die Möglichkeit die Auswahl an dem individuellen Vorwissen und Bedürfnissen anpassen zu können. Dank technischem Fortschritt können immer ausgefeiltere Programme konstruktivistisch orientierte virtuelle Lernwelten und Simulationen anbieten und moderne Lernsysteme aufgrund von Interaktionsdaten eine Adaptivität ermöglichen, d.h. die Anpassung der Lernangebote an die Präferenzen des jeweiligen Nutzers. Das Lernsystem kann den Wissensstand und auch die Fehler des Lernenden im Lernprozess ermitteln, um ihm dementsprechend angepasste Inhalte im nächsten Lernschritt anzubieten. Eine Individualisierung des Lernprozesses wird auf diese Weise ermöglicht.

Ein weiteres Potenzial von digitalen Medien in Lernprozessen, vorrangig von webbasierten Angeboten, ist die hohe Aktualität, also die Möglichkeit die Lerninhalte stets schnell aktualisieren zu können (Kerres 2013, S.138; Leutner 2009, S.118). Außerdem können digitale Medien eine Arbeitsprozessorientierung befördern, in dem sie mit Hilfe ihrer Eigenschaften und Formen, z.B. als Videos, Fotos, Animationen oder Simulationen die Arbeitsprozesse relativ authentisch, komplex und auch ganzheitlich präsentieren. Sie können, didaktisch sinnvoll eingesetzt, die Verzahnung der „Fachsystematik“ sowie der Prozessorientierung und somit eine Umsetzung des Lernfeldkonzeptes hilfreich unterstützen (Howe & Knutzen 2013, S.4f.). So bieten digitale Medien mit ihren vielfältigen Eigenschaften nicht nur eine Bereicherung für den Aufbau jeglicher Kompetenzdimensionen der Gesundheitsberufe, sondern auch eine Schutzfunktion für die Patienten. Diese müssen nicht mehr wie früher als Demonstrations- und Übungsobjekte zur Verfügung stehen. Außerdem ist aufgrund von seltenen Erkrankungen ebenso nicht immer ein direkter Patientenkontakt durchführbar (Nussbaumer 2008, S.16f.; Bremer 2007, S.9f.). Mit virtuellen Patienten, Serious Games und dem netzgestützten fallbasierten Lernen wird ermöglicht, dass das über Vorlesungen, Bücher etc., erworbene „träge“ Fachwissen durch einen realitätsnahen Praxisbezug mit Werten angereichert werden kann und so zum Kompetenzaufbau beiträgt (Erpenbeck 2014, S.46).

Digitale Übungen und Tests ermöglichen heutzutage ein Lernen im konstruktivistischen Sinne, indem die Rückmeldung bzw. das Feedback auf die Fragen eine gewisse Qualität aufweist, die zur intensiven Beschäftigung mit der Thematik anregt, oder auf weitere Informationen zum Lernthema hinweist. Feedback ist auch in Hatties Meta-Analysen zur Lernwirksamkeit mit der Effektstärke von d= 0.73 als eine essenzielle Einflussgröße identifiziert worden, das das Lernen in erheblichem Maße fördert (Hattie, 2017, S.131f.; Köller et al., 2013, S.22f.). Der Vorteil z.B. solcher Mehrfachauswahl- oder Wahr/Falsch- Fragen in einem Lernprogramm im Vergleich zum Papierformat ist ebenso, dass die einzelnen Aufgaben sowie die Antwortmöglichkeiten in jeder einzelnen Aufgabe bei jedem Übungsdurchgang neu rotieren und so ein Memory-Effekt vermieden wird (Petschenka et al., 2004, S. 12f; Arnold et al., 2018, S.24).

In Bezug auf das kommunikativ-kooperative Lernen mit digitalen Medien bzw. in virtuellen Gruppen konnte durch wissenschaftliche Studien belegt werden, dass diese in einigen Merkmalen mehr Lernpotenziale bieten als in Präsenzgruppen: Es hat sich gezeigt, dass in Bezug auf Kommunikation je nach Zweck reichhaltige Medien (in der viele Hinweisreize der Kommunizierenden offensichtlich sind, wie z.B. die Präsenz- Face to Face Kommunikation) nicht immer am geeignetsten sind, denn sie können zu einer Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe und zu einer Überkomplizierung der Situation führen (Schwabe, 2012, S228; Kerres, 2013, S.199). Außerdem konnte belegt werden, dass sich die Teilnehmer bei der computervermittelten Kommunikation aufgabenorientierter verhalten und die Partizipation ausgeglichener ist als in der Face-To-Face-Kommunikation. Statusunterschiede und andere Benachteiligungen werden in der textbasierten Kommunikation herausgefiltert. Vorurteile oder Stereotypdenken können dann nicht so einen großen Einfluss nehmen (Döring 2010, S. 166). Showers, Tindall & Davies (2015) konnten aufzeigen, dass der Partizipationsgrad in einem virtuellen Community-Forum sogar größer war als in der Face-to Face-Kommunikation. Wecker und Fischer (2014) stellten in ihrer Studie fest, dass die Argumentationsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern durch computergestützte, kollaborative Lernprogramme gesteigert werden kann.

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